[9] Grenzort Portbou im Spanischen Bürgerkrieg und NS
Überblick 9/11
Portbou in den 1940er Jahren Archiv Marian Román, Portbou
„Die Volksmilizen brauchen euch!“ - Plakat aus dem Spanischen Bürgerkrieg
Das Museo Memorial del Exilio/Exilmuseum (MUME) in La Jonquera
Wegen der starken Bombardierung Portbous werden 1938 Kinder nach Casablanca evakuiert
Spanischer Bürgerkrieg
Republikanische Demonstration 1936 auf der Plaza Mayor in Portbou
Archiv Marian Román, Portbou
Der strategisch wichtige Grenzort Portbou ist 1939 stark zerstört
Archiv Marian Román, Portbou
Am 17. Juli 1936 versuchen General Francisco Franco und rechte Militärs, die gewählte linke Republik gewaltsam zu stürzen. Gewerkschaften wie die anarchosyndikalistische CNT rufen zur Gegenwehr auf und proklamieren die soziale Revolution. Große Teile der Bevölkerung gehen auf die Barrikaden, um Republik und Freiheit zu verteidigen. Während Staaten wie Frankreich auf Nicht-Intervention setzen, unterstützen Nazi-Deutschland und Italien Franco: Die deutsche Legion Condor zerstört Guernika und bombardiert auch katalanische Städte wie Figueras. Joan Gubert i Macias, Chronist von Portbou, beschreibt das Ausmaß der Zerstörung in Portbou:
Portbou war einer der am stärksten bombardierten Orte Kataloniens, es war als Grenzort mit riesigem Bahnhof ein wichtiges militärisches Ziel. Die Verbindung nach Frankreich sollte zerstört und die Flucht dorthin erschwert werden. Die Menschen in Portbou waren niedergeschlagen und überlebten ohne ihre ökonomische Grundlage, den lahmgelegten Zugverkehr und Zoll, mehr schlecht als recht.
Tausende Freiwillige eilen nach Spanien, um – am Vorabend des 2. Weltkriegs – den europäischen Faschismus mit der Waffe in der Hand zu bekämpfen. Doch nach 3 Jahren Bürgerkrieg erklärt sich Franco am 1. April 1939 zum Sieger: Regimegegner_innen werden massakriert, jeder Widerstand - etwa der Stadtguerilla in Barcelona oder der Maquis in den Bergen - wird erstickt. Erst 1975 stirbt Diktator Franco, ein schwieriger Übergang zur Demokratie beginnt, die Mörder der Diktatur bleiben straffrei. (1+2➘) Das Trauma von Bürgerkrieg und Repression wirkt bis heute nach. (3+4➘)
Retirada: Flucht vor dem spanischen Faschismus
Denkmal für das republikanische Exil am Pass zwischen Portbou und Cerbere (2009)
Gedenktafel zum Exil am Col des Belitres
Am 26. Januar 1939 fällt Barcelona – eine der letzten Städte in der Hand der Republik. Hunderttausende fliehen vor dem drohenden Sieg Francos und gehen den bitteren Weg ins Exil, nach Frankreich.
In der Grenzregion Kataloniens gibt es keine Straße, keinen Weg, auf dem es nicht vor Menschen wimmelt, schreibt der Schriftsteller Álvaro de Orriols aus Barcelona, es ist ein ganzes Volk, das geht!(5➘)
Jordi Font, Leiter des MUME zur Retirada
In wenigen Tagen flieht fast eine halbe Million Menschen nach Frankreich – nach Tagen an der geschlossenen Grenze, verletzt, traumatisiert, notdürftig bekleidet. Die wichtigsten Grenzübergänge sind La Jonquera/Le Perthus, wo sich heute das Museo Memorial del Exilio (MUME) befindet, und Portbou. (6+7➘) Jordi Font, Direktor des MUME:
100.000 Personen flohen bei Portbou. Die Fotos von Manuel Moros zeigen die Verzweiflung in den Gesichtern von Frauen, Alten, Kindern und verletzten Soldaten. Männer und Frauen, die die Republik und die katalanische Kultur verteidigten, mussten vor der Repression des Franquismus fliehen.
Das Leben in den Internierungslagern entlang der französischen Küste ist hart: Auf bloßem Sand, umzäunt von Stacheldraht, anfangs ohne Schutz vor Wind und Regen, kämpfen die vom Krieg ausgezehrten Menschen gegen Hunger, Krankheit und ums nackte Überleben. (8➘)
Lluïsa Miralles floh als 10-Jährige über die Grenze bei Portbou
Gedenkstein am Strand von Argelès-sur-Mer, in Erinnerung an die interniernten spanischen Republikaner
Im 2. Weltkrieg werden Exilspanier_innen in KZs deportiert (9➘), an Franco ausgeliefert oder kämpfen gegen Nazi-Deutschland. Viele kehren nie zurück und sterben im Exil.
Gestapo und deutsche Grenztruppen
Auch heute noch sichtbar: die Caseta dels Alemanys
1942 besetzt Nazi-Deutschland auch den Süden Frankreichs und verschärft die Überwachung der Pyrenäengrenze. Auf den Klippen zwischen Cerbere und Portbou steht die Caseta dels Alemanys. Von ihr überblicken deutsche Truppen die Grenze.
Zweck dieses bunkerartigen Häuschens war die ständige Überwachung der Grenze und der Küste. Die deutschen Truppen dort hatten Maschinengewehre, in der Nähe stand eine kleine Kanone, die auf die Grenze zielte.
Das franquistische Spanien sympathisiert mit Hitler, schickt sogar Truppen in den Krieg (División Azul), ist aber offiziell neutral. Seine Haltung gegenüber NS-Verfolgten schwankt: zunächst Toleranz mit nachlässigen Kontrollen, dann verstärkte Internierung und auch Auslieferung nach Deutschland, später die schnelle Freilassung Inhaftierter.
Spanien ist zerstört, die Gefängnisse überfüllt mit Franco-Gegner_innen. Die Inhaftierung durchreisender Emigrant_innen auf dem Weg nach Amerika ist nicht erklärtes Ziel des Franquismus. Auch der Druck der Alliierten wie Großbritannien oder USA und der Kriegsverlauf zeigen Wirkung. Dennoch, die Nazis nehmen starken Einfluss auf Franco. Die Geheime Staatspolizei (Gestapo) ist in Spanien präsent, die Beziehung zur spanischen Polizei eng, das Internierungslager Miranda de Ebro wird zeitweise vom SS-Mitglied Paul Winzer geleitet. In Portbou unterhält die Gestapo ein getarntes Büro:
Das Gestapo-Büro war an der Rambla und als Geschäftsbüro getarnt. In Zusammenarbeit mit den örtlichen Behörden überwachte es den Grenzverkehr. Alle wussten davon aber niemand sagte etwas denn in Portbou herrschte ein Klima der Angst und Verzweiflung.
Ähnlich die Salazar-Diktatur Portugals: Sie kontrolliert und überwacht Flüchtlinge, hindert sie aber kaum an der Durchreise. Nach der Niederlage Deutschlands setzen sich viele Nazis nach Spanien ab. (10➘)
Quellen und externe Links
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Georg Pichler: Gegenwart der Vergangenheit. Die Kontroverse um Bürgerkrieg und Diktatur in Spanien. Zürich 2013
Walther L. Bernecker, Sören Brinkmann: Kampf der Erinnerungen. Der Spanische Bürgerkrieg in Politik und Gesellschaft 1936-2008. Nettersheim 2008
Heute kämpfen viele Organisationen gegen das erzwungene Vergessen und für die Erinnerung an die Opfer Francos, hier zwei von ihnen: Asociación para la Recuperación de la Memoria Histórica , Federación Estatal de Foros por la Memoria
Die Institution Memorial Democratic der Regierung Kataloniens hat die Förderung der historischen Erinnerung zum Ziel.
Alvaro De Orriols, Les Feux du Perthus, journal de l'exode espagnol, Toulouse, Éditions Privat, 2011. <
Das Exilmuseum Museo Memorial del Exilio (MUME) in La Jonquera:
Bildungsprogramm des MUME:
Grégory Tuban: Février / Febrer 1939 : La retirada dans l'objectuf de l'exili dins la mirada de Manuel Moros, Perpignan 2009
Die Ausstellung Mémorial du camp d'Argelès-sur-Mer in Argelès:
Neus Catalá: In Ravensbrück ging meine Jugend zu Ende. 14 spanische Frauen über ihre Tätigkeit in der Résistance und ihre Deportation in deutsche Konzentrationslager. Berlin 1994
Carlos Collado Seidel: España refugio nazi, Madrid 2005